Seine Beine änderten merklich ihre Richtung. Er sah sich schon den kalten Flaschenhals umklammern, den Metalldeckel leise in seinen Fingern klicken … Auf halbem Weg erstarrte er, als hätte jemand den Strom abgeschaltet, die Hände in die Taschen geschoben und wäre beinahe über den Lichtfleck gerannt.
„Ich kann zurück“, sagte eine fiese innere Stimme.
„Ich kann nicht.“ Lukin beschleunigte seinen Atem, sein Atem wurde lauter, warme Wolken entwichen seinem Mund. Erst als er die Haustür zuschlug, erlaubte er sich, innezuhalten und seine Stirn an das kalte Glas des Briefkastens zu lehnen.
Er kam selten nüchtern nach Hause. Daher überraschte ihn sein Junggesellenzimmer immer wieder: Kleidung auf einem Stuhl, Geschirr in der Spüle, Staub, verkrustete Krümel. Eine Summe privater Kleinigkeiten, deren Bedeutung Einsamkeit war.
Der Kühlschrank leuchtete leer und enthielt nur wenige Dinge: eine Dose Fisch, ein Viertel eines altbackenen Brotlaibs, ein Stück altbackenen Käse. Er hätte nach unten gehen und etwas Einfaches kaufen können – Nudeln, Eier. Aber der Weg führte zum Flaschenregal. „Wir werden überleben“, sagte er in die leere Küche.
Um dem Ruf von drinnen zu entgehen, zog sich Lukin um und begann einen stillen Krieg im Haus: Er drehte den Warmwasserhahn auf, wusch den Fettfilm von den Tellern, wischte die klebrigen Rückstände vom Esstisch, sammelte seine Kleidung ein, warf sie in Körbe, stopfte sie in die Trommel und schüttete das Waschmittel hinein – der Duft von Waschgel lag wie ein frischer Duft in der Luft. Er wischte mit dem Lappen über den Boden, als wolle er seine Angst vor dem Fallen verwischen. Irgendwann füllte sich die Luft mit mehr als nur Reinigungsmitteln – sie wurde zu Leere, dem bloßen Klang eines einsamen Hauses.
Die Waschmaschine schnurrte wie eine Katze und tickte – wie Kieselsteine, die gegen Glas klopfen. Er warf einen Blick auf die Uhr: Bis Ladenschluss war noch genug Zeit. Genug für zehn Läden.
Er ging zum Fenster.
Das Haus gegenüber leuchtete mit seinen Fenstern wie eine Honigwabe. Irgendwo oben flackerte ein Schatten: Jemand zog die Vorhänge zu; etwas tiefer saßen Silhouetten an einem Tisch – ein Mann, eine Frau, zwei Kinder –, und ein Fernsehbildschirm glänzte. Lukin ertappte sich dabei, wie er sie sich unwillkürlich dort vorstellte – Marina und Sonya, klein, in bunten Pyjamas, mit einem Haargummi im Haar. Das Bild war so lebendig, dass es ihm einen rostigen Stich in den Hals versetzte. Er wandte sich ab, als hätte man ihn beim Spannen erwischt.
Ein leiser Wecker läutete – die Wäsche war fertig. Er ging ins Bad, holte die warme, nasse Wäsche heraus und hängte sie auf die Leine; der Dampf des Stoffes schlug ihm ins Gesicht. In der Küche stellte er den Wasserkocher an. Der Tee war säuerlich, das Brot krümelte, der Käse krümelte. Zweiundzwanzig Stunden, dreißig. Zehn Minuten bis Ladenschluss.
Er holte sein Handy heraus und wählte eine ihm bekannte Nummer. Seine Finger zitterten nur, als das Wort „Marina“ aufleuchtete.
„Lukin“, ihre Stimme war ruhig und müde, „ich habe dich gebeten, heute Abend nicht anzurufen.
“ „Ich freue mich auch, von dir zu hören“, versuchte er zu lächeln. „Ruf bitte Sonya an. “
„Hast du getrunken? Sie schläft.
“ „Nein. Nicht jetzt.“
Der Unglaube am Telefon war leiser als Worte. Marina seufzte.
„Schlaf dich aus. Und ruf nicht wieder an. Stör Sonja nicht, sie …“ Ihre Stimme wurde kurz sanfter, „sie gewöhnt sich an Artjom.“
Kurze Pieptöne knisterten in der Leitung. Er hielt das Telefon einen Moment ans Ohr und legte es dann auf den Tisch. „Komisch, dass sie mich noch nicht auf die schwarze Liste gesetzt hat“, dachte er und spürte, wie in diesem Gedanken eine subtile, fast schwerelose Hoffnung aufstieg.